Gemeinsam LEBEN lernen
Vom Fluss...

Am 16. Mai hatte die Schulgemeinschaft von St. Ursula Dante Sekejam aus Ocongate in Peru zu Gast, hier im Bild mit Schulleiter Christoph Käfer zu sehen. Eine Galerie mit weiteren Fotos von diesem besonderen Besuch finden Sie weiter unten auf der Seite. Auf den Seiten des Weltladens können Sie sich ein kurzes Video anschauen.
Außerdem hat unsere Schülerin Xenia Smykala (K1) ihre Gedanken zur Begegnung mit Dante Sekejam in Form des folgenden Essays unter dem Titel "Vom Fluss..." niedergeschrieben:
Vom Fluss
Meine Oma war eine rheinische Frohnatur. Sie hing sehr an ihrem Zuhause, dem Westerwald. Sie kannte jeden Fleck von ihrer Heimat. In jedem Dorf hatte sie Bekannte oder Verwandte und sie liebte es mit dem Auto auszufahren, um einfach nur ihr Zuhause zu bewundern. Der Westerwald und meine Oma waren eins. Der eine war nicht ganz er selbst ohne den anderen. Das gilt vor allem für den Westerwald. Ohne meine Oma ist der nämlich nur halb so schön.
Als Dante Sekejam Espejo am 16.05.25 unsere Schule besucht hat, um uns von seinem Leben zu erzählen, musste ich an meine Oma und den Westerwald denken. Ich durfte einem Mann zuhören, der in einer so tiefen Verbindung mit seiner Heimat, seiner Natur steht, wie es ebenso nur meine Oma tat. Diese Verbundenheit zu einem Fleck Erde ist etwas ganz besonderes. Er erzählte von seinem Volk, den Awajún, deren Gemeinden durch den Amazonas-Wald verteilt liegen und nur durch den Fluss verbunden sind. Der Fluss ist für die Awajún mehr als nur ein Fluss. Am Fluss verbringen die Menschen ihr Leben. Sie tauchen nach Fischen, schwimmen, malen Bilder in den Sand oder treffen sich einfach um Zeit miteinander zu verbringen. Immer wieder betonte Dante Sekejam, wie wichtig und wertvoll der Fluss für sein Volk ist.
Doch seit einigen Jahren ist der Fortbestand dieses Flusses, dieses so zentralen Lebewesens bedroht. Der illegale Bergbau hat Einzug gehalten und mit ihm kamen Zerstörung und Leid für die in friedlichem Einklang mit dem Fluss lebenden Awajún-Indigenen. Boote und Bagger zerstören den lebensnotwendigen Fluss, indem sie das Sediment vom Flussboden ansaugen. Doch nicht nur Gold wird so gewonnen, auch Kadmium und Quecksilber werden freigesetzt. Diese Stoffe verseuchen das Wasser und schaden den Menschen, die im Kontakt zu dem Fluss stehen, wie auch einer Vielzahl an Pflanzen und Tieren. Auch die am Flussufer gelegene Krankenstation droht in den Fluss zu rutschen. Wohlgemerkt ist diese Krankenstation, aufgrund der fehlenden Infrastruktur die einzige medizinische Versorgung für ein großes Gebiet. Ein weiteres Problem hat sich durch den illegalen Bergbau aufgetan: die Prostitution. Mädchen im Alter von 14 Jahren werden in die Prostitution gedrängt und ausgebeutet. Junges Leben wird missbraucht und unwiderruflich geschädigt, während der peruanische Staatsapparat nichts tut um die Untaten zu stoppen, die den Awajún-Indigenen widerfahren. Der peruanische Staat interessiert sich nicht für die Kulturen der indigenen Völker und will diese ausmerzen.
Eine schreckliche Vorstellung. Ich muss an meine Oma denken. Ein wenig kann ich mir vorstellen wie sich die Awajún fühlen müssen, weil ich weiß wie es meiner Oma ginge, wenn ihre Heimat zerstört würde. Ein Satz, den Dante Sekejam gesagt hat, ist mir besonders in Erinnerung geblieben. „Der Fluss hat das Leben lebenswert gemacht.“ Hinter diesen Worten, steckt so viel Kraft. Ich glaube alle Menschen haben etwas, das ihr Leben lebenswert macht und dafür lohnt es sich einzustehen. Genau das tun die Awajún. Ohne Unterstützung des Staates und ohne Gewalt wehren sie sich gegen die Zerstörung ihres Flusses, der so viel mehr ist als nur ein Fluss. Der Fluss ist eine Quelle der Kraft, die die Awajún glücklich macht. Und wie es so oft im Leben ist, schweißt ein gemeinsames Ziel Menschen zusammen. Zusammen mit anderen Gemeinden geben die Awajún-Indigenen alles um ihre Kultur, Sprache und Kunst vor der Auslöschung zu bewahren. Die vielen Steine, die ihnen durch Bestechung, Korruption und Gewalt in den Weg gelegt werden, machen ihren Kampf nicht leichter, lassen die Awajún aber auch nicht ihren Mut verlieren.
Der Amazonas ist eines der wichtigsten Ökosysteme auf unserer Erde, welches paradoxerweise von allen Seiten angegriffen und zerstört wird. Obwohl uns die fatalen Folgen bewusst sind, die die endgültige Zerstörung des Amazonas für die gesamte Weltbevölkerung mit sich bringt, zeigt ein Großteil der Welt, Menschen wie Dante Sejekam Espejo die kalte Schulter. Vielleicht liegt es daran, dass der Amazonas und seine Bewohner geografisch zu weit von uns entfernt liegen und uns somit die verheerenden Folgen des illegalen Bergbaus, bis jetzt, zu wenig in unserem Alltag einschränken. Erst wenn es zu spät für den Amazonas und insbesondere den Kampf der Awajún sein wird, werden sich Politik und Gesellschaft dazu bewegen lassen ihre geliebten Hetzthemen wie Migration und wirtschaftliches Wachstum beiseite zu legen und sich endlich einem der zentralsten Themen unserer Epoche zu widmen, welches Existenzen bedroht und fordert: dem Klimawandel.
Vielleicht liegt das fehlende Interesse am Amazonas auch daran, dass wir eine gewisse Mitschuld an dessen Lage tragen, derer wir uns gerne entziehen würden. Sich Mitschuld einzugestehen fällt immer schwer, ob persönlich oder gesellschaftlich. Dennoch müssen wir anfangen zu verstehen, dass ein Lebensstil des kopflosen Konsums, wie ihn viele von uns ausleben dazu führt, dass Staaten wie Peru, lieber die Zerstörung eines Ökosystems und indigener Kulturen billigen, als auf Gewinn zu verzichten. In Anbetracht dessen bin ich von Dante Sejekams Ruhe beeindruckt, mit der er seine Zuhörer freundlich darum bittet, sich dem Wert ihrer technischen Geräte bewusst zu werden, geht dieser doch weit über deren materiellen Preis hinaus. Obwohl Dante Sekejam im Namen aller indigenen Amazonas-bewohner das gute Recht dazu hätte wütend zu sein, hat er sich dazu entschieden, einen gewaltfreien und somit auch schweren Weg zu gehen. Anstatt auf Waffen, setzt er auf Worte und versucht sich einen Weg der Sensibilisierung, durch den Urwald der Ignoranz zu schlagen, der seit Jahrzehnten über der „westlichen“ Welt wuchert.
Vor allem wir als Christen sollten ihm hierbei jegliche Unterstützung zukommen lassen, die wir geben können. Gott hat uns seine Schöpfung anvertraut, damit wir sie bewahren. Es ist an der Zeit, dass wir uns dieser Verantwortung bewusst werden und aufhören diese als Bürde zu sehen und anfangen sie als das wahrzunehmen was sie ist, eine Ehre. Das Glück der Menschen steckt in der Schöpfung, die Awajún haben das bereits verstanden, es ist an der Zeit, dass wir es auch tun.
Dante Sekejam ist ein bemerkenswerter Mensch und das Gesicht einer bemerkenswerten Sache. Ich hoffe ihm und den Awajún wird es gelingen Unterstützer im Kampf gegen die Zerstörung ihrer Heimat zu gewinnen. In Peru sowie der ganzen Welt. Die zentrale Botschaft, die ich von seinem Vortrag mitnehmen durfte, ist, dass es sich lohnt für Vielfalt und den Schutz von Vielfalt zu kämpfen. Erfüllung ist nicht auf Konsumgüter beschränkt, sie lässt sich überall finden. Ob der Amazonas in Peru oder der Westerwald in Deutschland, die Erde ist dieselbe. Die Schöpfung, ihre Flora und Fauna, ihre Menschen und deren Kulturen sind einzigartig und so viel kostbarer als alle Bodenschätze. Unsere Erde, unsere Natur, mit all ihren Tieren, Pflanzen, Wäldern und Flüssen ist das kostbarste, was wir besitzen. Wir dürfen niemals aufhören uns einzusetzen, uns stark zu machen für das Leben auf der Erde. Wir haben nur die eine.
Xenia Smykala
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